Land des Lichts“ lautet Marokkos neuer Werbeslogan, ...

... der mich als Fotografin magisch anzog und den nordafrikanischen Staat zu einem Traumziel auf meiner Reiseliste werden ließ. Kurzfristig mache ich mich im verregneten und kalten September 2022 für knapp eine Woche auf den Weg. Mit einem Direktflug von Frankfurt nach Agadir an der Atlantikküste im Süden Marokkos beginnt meine Reise. In Deutschland zeigt das Thermometer tagsüber zehn Grad Celsius, nachts sind es nur noch erschreckende vier. In Agadir dagegen verwöhnen 26 Grad am Tag und 20 in der Nacht mein nach Sommer rufendes Gemüt. In Kombination mit dem frischen Meereswind ist das für mich genau die richtige Wohlfühltemperatur. Herrlich! 

Agadir – Marokkos Badestrand

Kaum angekommen, will ich unbedingt ins Meer zum Baden. Rund eineinhalb bis zwei Meter hoch schlagen mir die Wellen in der Brandung entgegen. Die Wassertemperatur ist selbst für verfrorene Menschen wie mich angenehm warm. Den Atlantik hatte ich mir deutlich kälter vorgestellt. Der Strand mit seinen elf Kilometern Länge ist nahezu menschenleer und bei Ebbe unglaublich tief. Perfekt für einen ausgedehnten Strandspaziergang, den ich mir für den Spätnachmittag vorgenommen habe. Denn zuvor will ich in der großzügigen Hotelanlage auf einer der dick gepolsterten Liegen am Pool relaxen, die salzige Meeresluft schnuppern und eine entspannende Massage im Wellnessbereich buchen. Großartig, dass das Hotel direkt am Strand abseits des belebten Stadtzentrums liegt, so lassen sich die Ruhe und das Wellenrauschen doppelt genießen und erinnern mich beim Eindösen daran, an welch schönem Ort ich mich befinde. 

Als ich eine Stunde später wieder erwache, steht die Sonne bereits tief am Himmel. Ich schnappe meine Kamera und habe vor, den geplanten Strandspaziergang zu machen. Doch ehrlich gesagt komme ich genau bis über die Düne und traue meinen Augen kaum. Der komplette Strand ist mit Fußball spielenden jungen Männern übersäht. Mit ihren Füßen haben sie Spielfelder in den Sand gezeichnet. Manche haben kleine Tore aufgestellt, andere behelfen sich mit Sandhäufchen. Rote und gelbe T-Shirts zeigen an, wer gegen wen spielt. Mit langen Schatten bewegen sich die Marokkaner flink über den Sand und schießen Tore, als hätten sie seit ihrer Kindheit nichts anderes getan. Das goldene Sonnenlicht über dem Meer ist fantastisch und lässt die Spieler im Gegenlicht als schwarze Silhouetten erscheinen. Ich bin so gefesselt von diesem Anblick, dass ich meinen Strandspaziergang vergesse und den Fußballspielern eine Weile zuschaue. Obwohl mein letzter Versuch als Stürmerin ungefähr vierzig Jahre zurückliegt und mit einem Armbruch endete, bekomme ich Lust mitzuspielen. Doch als Frau mit der Kamera in der Hand gegen männliche Spieler anzutreten, erscheint mir keine gute Idee. Ich konzentriere mich also lieber auf den Zauber des Lichts, zumal der Sonnenuntergang naht und die Spieler nach und nach von dannen ziehen. 

Sonnenuntergang mit faszinierendem Lichtspiel

Einige Angler bauen ihre Ruten auf und warten geduldig, bis es dunkler wird. Pärchen gehen am Strand spazieren, um den Sonnenuntergang zu sehen. Ich verfalle ebenfalls in romantische Stimmung, denn der Himmel färbt sich bereits in hellem Orange-Lila-Ton. Mit Einbruch der Dunkelheit leuchtet die Kasbah auf dem Berg in hellem Weiß, ebenso die Schriftzeichen am Hang darunter. Gott, Vaterland, König steht dort in arabischer Schrift geschrieben. Was für ein bewegender Anblick vom Strand aus, vor allem wenn man weiß, dass die gesamte Altstadt Agadirs, die unterhalb der Kasbah Oufalla lag, bei einem schweren Erdbeben 1960 zerstört wurde und ihre Überbleibsel wie ein großer Friedhof bis heute von Erde und Sand bedeckt sind. Darauf zu bauen ist verboten. Die Ruine der Kasbah überragt die Stadt und wurde inzwischen wieder aufgebaut. Wehmut machte sich in mir breit. Die Sonne verschwindet auf ihren letzten Metern vor dem Horizont passend zu meinen Gedanken hinter einer dunklen Wolke und ich trete nachdenklich den Rückweg an ins Hotel. 

Aus unerklärlichem Grund drehe ich mich am Ende des Strandes noch einmal Richtung Meer um. Mir bleibt fast das Herz stehen, als ich den Himmel sehe. Innerhalb dieser zwei Minuten Rückweg hat er sich komplett verändert. Links präsentiert sich der Himmel in einem hellen, intensiven Orangefarbton, rechts daneben, wo die Sonne war, kommen blutrote Streifen hervor. Durch die anherrschende Ebbe spiegelt sich die Szene auf dem nassen Sandboden. Wow, solch einen imposanten Sonnenuntergang habe ich noch nie gesehen. Ein zweifarbiges Spektakel, das es mit Sicherheit in dieser Intensität nur selten gibt. Was ein Glück, dass ich mich nochmals umdrehte.

Berauscht von diesen farblichen Eindrücken, möchte ich am nächsten Morgen unbedingt den Sonnenaufgang am Strand erleben, bevor ich mich in die Medina Polizzi (Altstadt), den Souk El Had (Markt) und zur Kasbah Oufalla auf den Weg mache. Im „Land des Lichts“ werde ich für mein frühes Aufstehen belohnt. Der Strand bezaubert in blassem, rosa-blaufarbenem Ton und mystischer Stille.

Leuchtende Farben in der Medina Polizzi

Im Gegensatz dazu wimmelt es in der Altstadt und auf dem Markt. Doch in Agadir, der sechstgrößten Stadt Marokkos, geht es gegenüber Marrakesch vergleichsweise ruhig zu. Die komplette Stadt wurde nach dem Erdbeben 1960 an neuer Stelle erbaut, die „Altstadt“ entstand nach Plänen von Coco Polizzi und macht nicht nur optisch einiges her. Es duftet nach orientalischen Gewürzen, in bunten Farben leuchten die Gewänder und Schuhe, die es zu kaufen gibt. Die handgearbeiteten Stickereien auf den feinen Stoffen sind unglaublich filigran. Wer Stoff für ein elegantes Hochzeitskleid sucht, wird dort auf jeden Fall fündig. Und wer wirklich etwas kaufen möchte, sollte stets nach der Ware in der besseren Qualität fragen. Denn von den Händlern ausgelegt wird in der Regel nur die schlechtere Qualität. 

Touristen sind überall willkommen. Viele Marokkaner sprechen deutsch, alle freuen sich herzlich, wenn man zum Essen einer Tajine oder auf ein Glas frisch gepressten Granatapfel- oder Orangensaft an einem ihrer Stände in der Medina vorbeischaut. Sie lachen viel, winken mir fröhlich zu und wenn ich höflich frage, ob ich ein Foto machen darf, sagen sie nur selten nein. Für ein obligatorisches Foto des Wasserträgers sollte man Trinkgeld geben. Der alte Mann lebt davon, denn Wasser aus dem Brunnen verkauft er schon viele, viele Jahre keins mehr. 

Stundenlang könnte ich durch die Läden und Verkaufsstände streifen. Auch der Markt ist faszinierend. Zwischen Eisenwaren, Keramik und allerlei anderem türmen sich Obst und Gemüse an den Ständen. Hinter riesigen Bergen aus Melonen verschwinden die Händler aus dem Blickfeld, sofern sie nicht erhaben darüber thronen oder davorstehen. Ich reiße mich los von all den Gerüchen und Eindrücken, denn ich möchte unbedingt noch auf den Berg, um die Stadt von oben zu sehen.

Was der König sagt, wird gemacht

Auf dem Weg zur Kasbah Oufalla fühle ich mich ein bisschen wie in Stuttgart, denn ich passiere unfassbar viele Baustellen. Keine Straße, keine Kreuzung erscheint mir ohne Baustelle. Auf Nachfragen erfahre ich, dass der König Marokkos, Mohammed VI., auch bekannt als Mohammed Ben Al-Hassan, vor drei Jahren in Agadir war und ihm der Zustand der Infrastruktur nicht gefallen hat. Er erließ den Befehl, dass bis zu seinem nächsten Besuch im Jahr 2024 alles in Ordnung sein müsse. Kein Wunder, dass es nun an allen Ecken und Enden von Bauarbeitern nur so wuselt. Gebäude und Straßen werden modernisiert, selbst die Seilbahn zur Kasbah und ihr Besucherzentrum inklusive Toiletten unterliegen der Restaurierung. Die Infrastruktur der gesamten Stadt wird deutlich verbessert, Gras und Pflanzen werden nur noch mit recyceltem Wasser gegossen. Ich finde, da könnten wir uns in Deutschland eine Scheibe von abschneiden.

Verhüllende Ausblicke 

Kaum erklimme ich mit dem Bus den Serpentinenweg zur Kasbah, fallen mir links unten am Meer unzählige kleine und große Fischerboote auf. 150.000 Tonnen Fisch werden in Agadir jährlich gefischt, drei Häfen besitzt die Stadt: die Marina für die privaten Segel- und Motorboote, den Fischereihafen für alle kleinen, mittleren und großen Fischerboote sowie den Handels- & Kreuzfahrthafen für die großen Tanker und Schiffe. Von oben betrachtet reiht sich ein Boot ans andere, sodass ein farbenfrohes und gleichzeitig strukturiertes Muster entsteht. Wende ich meinen Blick nach rechts, stechen mir fast im wahrsten Sinne des Wortes Euphorbien ins Auge. Der Hang ist über und über mit dieser Wolfsmilch-Kakteenart bewachsen und wenn sie blühen, summen Abertausende von Bienen um und in ihre Blüten. Gut gegen Halsweh soll der Honig sein. Im September sehen die Kakteen jedoch nur stachelig, staubig-grau und so gar nicht ansehnlich aus.

Ansehnlich dagegen ist der Ausblick, den ich vom Plateau der Kasbah über die Bucht von Agadir habe. Der breite Streifen Sandstrand ist nicht zu übersehen, die Stadt liegt zwischen ihm und den Ausläufern des angrenzenden Antiatlasgebirges. Obwohl – oder weil - es sehr diesig ist, fasziniert mich diese Aussicht, die Stadt und Land in einen feinen Dunst hüllt und die Konturen verschwinden lässt. 

Verschwinden lässt der Schlangenbeschwörer auf dem Vorplatz der Kasbah seine Schlange leider nicht in dem eigens von ihm mitgeführten Stoffbeutel. Im Gegenteil: Er hängt sie mir ungefragt um den Hals! Während ich vor Panik in die Schockstarre verfalle, entwendet er mir geschickt meine teure Profikamera - klick - und drückt sie mir eine gefühlte Ewigkeit später wieder in die Hand, jedoch nicht ohne vorher ein Foto von seiner Schlange mit mir gemacht zu haben. Ich bin kein Reptilienkenner, aber er erklärt mir steif und fest, dass diese Schlange ungefährlich sei. Ihr wäre es viel zu kalt, deshalb ist sie so träge. Ich finde es dagegen mehr als heiß, schwitze bei rund 26 Grad im Schatten und frage mich, wieso auf dem Plateau kein einziges Schattenplätzchen zu finden ist und … wer auf dem Foto mehr leidet: seine Schlange oder ich. Zeit zum Grübeln bleibt mir nicht, denn der Kollege mit dem Kamel versucht meine Aufmerksamkeit zu erhaschen. Ja, so ein Kamel finde ich direkt auf den ersten Blick doch deutlich sympathischer. Schnell und nur zu gerne gebe ich die Schlange wieder ab, deren Haut sich für mich erstaunlich weich und trocken anfühlt. Ich wende mich dem Kamel zu. Seine Schnauze ist weich, das Fell fühlt sich für mich Europäerin vertrauter an als die Schlangenhaut. Doch der Geruch des Tieres ist „nicht gerade vornehm“, wie meine Oma es ausgedrückt hätte. Ist das Auffangsäckchen, das seinen Allerwertesten verhüllt, womöglich gefüllt? Wird der aufgefangene Kameldung etwa zu Brennstoff getrocknet, oder ist das Säckchen nur dazu da, damit unachtsame Touristen nicht in die Kameläpfel treten? Ich muss wohl noch mal hin, um die Antwort zu erfragen. Auf dem Rückweg nach Agadir kommt mir den Berg hoch der nächste Mann mit Kamel entgegen. Doch statt auf dem Kamel zu reiten oder neben ihm herzugehen, fährt er auf einem Moped und zieht das Kamel an einem Strick hinter sich her. Ich muss lachen. Sollte das nicht andersrum sein, das Kamel als Lastentier trägt den Mann und zieht das Mofa? Irgendwie scheine ich mich an den Umgang mit Tieren in Marokko noch gewöhnen zu müssen.